Herr Dr. Dörr begann den Vortrag zunächst mit einer historischen Einführung in die Geschichte der DDR, mit einem Fokus auf die Entwicklung der 1956 gegründeten Nationalen Volksarmee im aufkommenden Kalten Krieg. So handele es sich bei der NVA und den anderen bewaffneten Organen der DDR auch um Instrumente, die dem Machterhalt der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands (SED) und der sozialistischen Diktatur dienen sollten. Im Gegensatz zur Bundeswehr war z.B. die Verweigerung des Wehrdienstes nicht möglich und auch die Armee war entsprechend stark politisch indoktriniert. So war es für die Offiziere auch notwendig Mitglied der SED zu sein. Zusätzlich wurde die Linientreue der Soldaten streng durch das Ministerium für Staatssicherheit (MfS/Stasi) überwacht. Neben den Einsätzen im Landesinneren z.B. bei der Überwachung der 1961 gebauten Mauer, wurde die NVA auch im Ausland eingesetzt, z.B. durch die Entsendung von Ausbildern in befreundeten Staaten wie Angola und Mosambik. Die ab Mitte der 1980er Jahre eingeleitete Politik von Glasnost und Perestroika des sowjetischen Präsidenten Michail Gorbatschow ließ erstmals den Eisernen Vorhang und die Allmacht der sozialistischen Staatsparteien des Ostblocks bröckeln. Auch die SED konnte sich dem nicht entziehen und so wurde mit der Öffnung der Berliner Mauer am 9. November 1989 das Ende der DDR und der Wiedervereinigungsprozess eingeläutet, der mit der erfolgreichen Wiedervereinigung am 3. Oktober 1990 endete.
Mit dem Ende der SED-Diktatur stellte sich dann auch die Frage, wie nun mit der NVA verfahren werden solle. Dr. Grawe stellte im zweiten Teil den Prozess der Auflösung und Integration der NVA in die Bundeswehr vor. Anfängliche Hoffnungen seitens der DDR-Politiker, die NVA vielleicht auch in einem wiedervereinigten Deutschland aufrechtzuerhalten, wurden rasch zerschlagen, da dies für die BRD nicht in Frage gekommen sei, so Grawe. Des Weiteren führte er aus, dass es sich bei der Integration der NVA in die Bundeswehr um einen Sonderfall gehandelt habe, da zuvor noch nie eine moderne funktionsfähige Armee in die Armee eines anderen Staates integriert worden sei.
Die Anfang 1989 noch 173.000 Soldaten umfassende NVA wurde mit der bevorstehenden Auflösung der Armee Schritt für Schritt verkleinert. Am Ende wurden 1992 lediglich 10.800 Soldaten dauerhaft in die Bundeswehr übernommen. All jene, die über 55 Jahre alt waren oder wichtige Positionen in der SED und/oder anderen Organen, wie den Grenztruppen oder der dem MfS innehatten, wurden 1990 entlassen. Vom Material konnte (laut Dr. Grawe) am Ende lediglich 7 Prozent in die Bundeswehr übernommen werden.
In Bezug auf die Frage, inwiefern die Integration der NVA in die Bundeswehr als Erfolg gesehen werden könnte, kamen Dr. Dörr und Dr. Grawe zu dem Fazit, dass es sehr davon abhängen würde, ob man aus West- oder Ostdeutschland komme. Während viele Westdeutsche die Integration als Erfolg betrachteten, sahen dies die Ostdeutschen deutlich kritischer. Viele ehemalige Soldaten der NVA beklagten z.B. mangelnde individuelle Wertschätzung und den in der NVA erlernten Fähigkeiten. Dörr und Grawe führten aus, dass es zwar politisch nachvollziehbar war, dass man sich möglichst weit von der NVA distanzieren wollte, aber dass es für die ehemaligen Soldaten der NVA natürlich menschlich kein leichter Prozess gewesen sei.
Im Anschluss folgte eine Diskussionsrunde in der vom Publikum viele interessante Fragen zu unterschiedlichen Themen, wie z.B. dem Verbleib der weiblichen SoldatInnen der NVA oder der Übernahme von Traditionen in die Bundeswehr, gestellt wurden.
Abschließend möchten wir uns bei Herr Dr. Dörr und Herr Dr. Grawe für dieses sehr spannende und aufschlussreiche Seminar bedanken.